Ahasver, Tragödie

In ein Wespennest gestochen hat Lienhard mit seinem Trauerspiel Ahasver am Rhein. Es ist das einzige, das in der Gegenwart spielt und stellt einen Protest des gemüthaften christlich-germanischen Menschen gegen die intellektualistische Wissenschaft dar, in welcher das Judentum eine führende Rolle spielt. Der Gedanke der Seelenwanderung wird dazu verwertet, aus dem biblischen Ahasver, dem ewigen Juden, einen Professor der Naturwissenschaft und Vertreter des Häckelianismus zu machen, der in seiner eigenen Familie die Kräfte des Gemüts gegnerisch auftreten sieht und sich schließlich in ruheloser Verzweiflung in den Rhein stürzt. Im biblischen Zwischenspiel treten die Personen des modernen Dramas in altjüdischen Verkörperungen auf. Die Gestalt Jesu, als des Predigers von der Weisheit des Herzens, waltet sinnbildlich über dem Ganzen. Es ist klar, daß ein Drama solcher Tendenz schon aus weltanschaulichen Gründen nicht nur bei Anhängern des monistischen Materialismus, sondern auch beim Judentum stille Empörung erregen mußte, kann man doch über all die hier behandelten Fragen auch ganz andere Einstellungen und Lösungen für gut halten. Dazu kommt, daß der Dialog der Natürlichkeit mangelt, da er in den Gewissensqualen des Professors manchmal eher Lienhard als einen differenziert forschenden Professor reden läßt. Gibt man auch all diese Negationen zu, so bleibt doch als Fazit, daß das Drama, wie man sich auch dazu stelle, interessant und fesselnd wirkt. Das große Grundproblem: Gemüt und organisches Erleben gegen abstrakten Intellekt und materialistischen Aberglauben enthält jedenfalls eine bedeutsame Gegenwartsfrage, die man, prinzipiell gesprochen, zugunsten einer Verklärung des Daseins durch Liebe und Wärme beantworten wird, wenn auch der ehemalige Zeitgeist kein Verständnis dafür aufbrachte. (Ernst Barthel, Elsässische Geistesschicksale)